Bahntrassenradeln – eine Zwischenbilanz

 

Nach über zehn Jahren ausführlicher Beschäftigung mit dem Thema, dem Besuch von mehr als 83 % der Bahntrassenwege in Deutschland und der jüngsten Erweiterung der Europaübersicht scheint es an der Zeit für ein Zwischenresümee. Zeit also für Gedanken zu diesen faszinierenden Radwegen, ihrer Gestaltung und den Diskussionen, die um die ein oder andere vorhandene wie geplante Strecke geführt werden.

Begriffsfindung

Während sich in vielen Ländern Bezeichnungen für Wege auf stillgelegten Bahnstrecken oder allgemeiner für qualitativ hochwertige Wege des nichtmotorisierten Verkehrs herausgebildet haben, fehlt dies im deutschen Sprachraum bislang. Meist werden Bahntrassenwege und ausgebaute Treidelpfade entlang von Kanälen oder Flüssen zu "Grünen Wegen" zusammengefasst. In Frankreich spricht man also von "Voies vertes", in Spanien von "Vías verdes", in Italien von "Greenways". In Portugal wird "Écopista" verwendet, was das gleiche meint, und im französischsprachigen Teil Belgiens hat sich die Abkürzung RAVeL (Rèseau Autonome de Voies Lentes – Autonomes Netz für den langsam fließenden Verkehr) verselbstständigt. Durch die Zusammenfassung von Bahntrassen- mit anderen Wegen ist es oft nicht ganz einfach, Wege auf ehemaligen Bahnstrecken in den verfügbaren Informationen sicher als solche zu identifizieren.
Im englischen Sprachraum gibt es die in dieser Hinsicht eindeutigen "railway cycle paths" oder "railway paths", die aber nicht die Prägnanz wie die genannten "Grünen Wege" erreicht haben. Herausragende Ausnahme sind die USA, in denen "rail-trails" von ihrer Ausbreitung wie von der Vermarktung zu einer Breitenbewegung geworden sind.
Die deutsche Bezeichnung "Bahntrassenradweg" verwende ich nur, wenn der Weg durch Zeichen 237 StVO ausschließlich für Radfahrer gewidmet ist, was sehr selten vorkommt, oder zumindest als gemeinsamer Fuß- und Radweg ausgewiesen ist (Zeichen 240). Zutreffender ist es meist von "Bahntrassenwegen" zu sprechen. In Nordrhein-Westfalen beginnen sich im Zusammenhang mit einem aktuellen Ausbauprogramm "Alleenradwege" als Qualitätsbegriff zu etablieren – ein erster Ansatz zu einer Begriffsbildung über die Eigennamen einzelner Wege hinaus.

Faszination

Bereits meine ersten, zufälligen Berührungen mit Radwegen auf stillgelegten Eisenbahnstrecken waren mit einem ganz spezifischen Fahrerlebnis verbunden: Sanft gleitet man durch die Landschaft, Straßen und Lärm in weiter Ferne, und genießt Ausblicke von Dämmen und Brücken. Dank einer leicht zu verfolgenden Linienführung erübrigt sich ein häufiges Kartenstudium. Das kannte ich zuvor allenfalls von Treidelpfaden und Kanaluferwegen. Die geringen Steigungen, die von Eisenbahnen ohne Zahnradantrieb zu bewältigen sind, übertragen diese Eigenschaften auf Bahntrassenwege auch in Mittelgebirgen und erschließen Radwanderern so ganz neue Ziele. Als Reiseradler mit einem Tagespensum von bis zu 170 km weiß ich das sehr zu schätzen.
Durch den konsequenten Ausbau des Radroutennetzes mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Bahntrassenwegen konnte sich beispielsweise die Eifel zeitweise in den Top 10 der jährlichen Radreiseanalyse des ADFC platzieren. Selbst die Amortisation (!) der in die Radinfrastruktur getätigten Investitionen lässt sich inzwischen anhand einer Studie abschätzen, in der zu vier ausgewählten Radfernwegen (darunter ein Bahntrassenweg) die mit diesen Wegen verbundene touristische Wertschöpfung ermittelt wurde: Die investierte Summe fließt innerhalb weniger Jahre in die Region zurück.

Netzbildung

Bahntrassenradeln – Die Übersicht der Bahntrassenwege umfasst zurzeit stolze 605 Wege in Deutschland und weitere über 730 Wege in anderen europäischen Ländern. In dieser Gesamtsicht zeichnen sich einige Trends ab. Der augenfälligste ist das Zusammenwachsen einzelner Wege zu ausgesprochen großen Netzen, durch die ganze Regionen erschlossen werden. Als Beispiel seien die Railway Paths im County Durham im Nordosten Englands angeführt, wo sehr früh viel Wert auf eine Verknüpfung zu größeren Strukturen gelegt wurde. An anderer Stelle ist die Netzbildung fast unbemerkt vonstatten gegangen, wie z. B. in Nord- und Mitteljütland oder in der Bretagne.
Für Deutschland ist die großräumige Vernetzung eine noch recht neue Entwicklung, bislang gab es nur kleinere Ansätze wie im Ruhrgebiet. Die beiden interessantesten aktuellen Projekte sind im Grenzgebiet Westeifel/Ostbelgien und mit den aus dem Konzept eines "Bergischen Trassenverbund" hervorgegangenen Panorama-Radwegen in Nordrhein-Westfalen angesiedelt – beide Vorhaben befinden sich in der Planung und teilweise bereits in der Umsetzung.

Kanonenbahnen zu Freizeitrouten

Die grenzüberschreitenden Strecken der Westeifel und Ostbelgien leiten zu einem sehr reizvollen Gedanken über: Wie bei vielen anderen Bahnlinien war der Eisenbahnbau in dieser Region stark von militärischen Überlegungen geprägt, in den folgenden Jahrzehnten waren die Bahnstrecken Teil einer wechselhaften Geschichte mit mehrfachen Änderungen der territorialen Zugehörigkeit. Die Wiederbelebung für den Radverkehr hilft diese unfriedliche Vergangenheit im vereinten Europa endgültig zu überwinden.
Ein anderer kurzer Bahntrassenweg mit hohem Symbolwert schließt zwischen Waldsassen und Cheb – d. h. zwischen Bayern und Tschechien – eine durch den "Eisernen Vorhang" gerissene Lücke und liefert auch hier einen kleinen Beitrag zu einem neuen nachbarschaftlichen Miteinander.

Bahnrelikte

Als besondere Gestaltungs- und Wiedererkennungselemente werden an Bahntrassenwegen immer häufiger Signale, Schranken, Kilometersteine, Denkmallokomotiven und andere Schaustücke aufgestellt oder vor Ort erhalten, anstatt verschrottet zu werden oder in Partykellern und Vorgärten zu verschwinden. Durch eine gastronomische oder öffentliche/kulturelle Nutzung können die alten Bahnstationen mit ihren oft regional charakteristischen Bauten vor dem Abriss bewahrt werden. Vieles geschieht in bemerkenswerter Initiative von Privatpersonen oder Vereinen, die durch ihr Engagement "ihrem" Weg eine ganz individuelle Note geben.
Es gibt also eine ganze Reihe an Möglichkeiten, die Eisenbahnvergangenheit eines Weges zu thematisieren und gleichzeitig attraktive Rast- und Treffpunkte zu schaffen. Auch durch entsprechende Eigennamen von Radwegen und die Gestaltung von Logos oder Informationstafeln kann die Erinnerung an den Ursprung einer Trasse wach gehalten werden. Einige Wege werden in Abschnitten von Lehr- und Erlebnispfaden überlagert, sodass eine Radtour oder Wanderung mit anderen Interessen und Eindrücken verbunden werden kann. Neben eisenbahnhistorischen Informationspunkten sind zum Beispiel Planetenwege oder Naturlehrpfade weit verbreitet.

Wird fortgesetzt.



Die Tourenbeschreibungen und begleitenden Angaben wurden mit größtmöglicher Sorgfalt zusammengestellt. Für ihre Richtigkeit kann jedoch keine Gewähr übernommen werden. Das Nachradeln bzw. -fahren der Touren geschieht auf eigene Gefahr.

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