Bahntrassenwege in Europa – eine Bestandsaufnahme

(deutsche Vorlage für "Ex ferrovie recuperate all'uso ciclistico in Europa" in Dalle rotaie alle bici, Mailand 2011)
 

Dieser Artikel ist erstmalig in dem anlässlich des 4. Aktionstages "Giornata Nazionale delle Ferrovie Dimenticate" im März 2011 von der Federazione Italiana Amici della Bicicletta (FIAB) herausgegebenem Buch "Dalle rotaie alle bici" in italienischer Sprache erschienen (Stand: Januar 2011):


www.fiab-onlus.it/Ex_ferrovie/index.htm


Es ist schon ein ganz besonderes Erlebnis, mit dem Rad auf einer alten Bahntrasse unterwegs zu sein: sanfte Steigungen und Kurvenradien, Ausblicke von den Bahndämmen und Viadukten, das Durchfahren von schattigen Einschnitten und Tunneln. Und zur Belohnung die Rast an einem mit neuem Leben erfüllten Bahnhofsgebäude, das jetzt ein Restaurant beherbergt und manchmal auch ein Nachtquartier bietet.

Was vor wenigen Jahrzehnten mit einzelnen visionären Rad- und Wanderwegeprojekten begann, hat sich zu einem europaweiten Boom entwickelt, der dem Bedürfnis der Menschen nach aktiver und naturnaher Erholung in einer großen Breite Rechnung trägt. Durch ein umfangreiches Angebot attraktiver Wege oft fernab vom motorisierten Verkehr werden Spaziergänger, Inline-Skater und Radler aller Altersklassen angesprochen, speziell Familien mit Kindern und ältere oder körperlich eingeschränkte Personen. Bei gut ausgebauten Strecken entsprechender Länge kommen aber durchaus auch sportlich ambitionierte Rennradfahrer und Radwanderer auf ihre Kosten.

Stillgelegte Eisenbahnstrecken bieten mit ihrer Linienführung und geringen Gradienten ideale Rahmenbedingungen für hochwertige Freizeitwege. Sie sind zudem eine herausragende Chance, Arbeitsleistung und handwerkliches Können der Eisenbahnerbauer zu würdigen und das von ihnen Geschaffene auch nach dem Wegfall des ursprünglichen Bestimmungszwecks dauerhaft zu nutzen und zu bewahren.

In diesem Essay sollen die Geschichte der europäischen Bahntrassenwege im Kontext der nationalen Radroutennetze skizziert und Besonderheiten in einzelnen Ländern herausgestellt werden.

Gesamtstreckenlänge europäischer Bahntrassenwege

Die Frage nach Anzahl und Gesamtlänge von Bahntrassenwegen in einem Land ist meist nicht ganz einfach zu beantworten. Das liegt zum einen daran, dass der oft verwendete Begriff der "Grünen Wege" im Vergleich zu Bahntrassenwegen weiter gefasst ist und auch Treidelpfade und Uferwege an Kanälen einschließt. Es kann daher bis auf wenige Ausnahmen nicht auf nationale Statistiken zurückgegriffen werden. Zum anderen tritt die frühere Nutzung als Bahnstrecke bei der Gestaltung und touristischen Vermarktung von Radwegen häufig so stark in den Hintergrund, dass die Eisenbahnvergangenheit an markanten Punkten zwar leicht zu erkennen ist, die genaue Abgrenzung von Trassenabschnitten aber nur durch eine Recherche vor Ort gelingt.

In den Vereinigten Staaten von Amerika kann die Organisation Rails-to-Trails Conservancy (RTC) als ein Ergebnis ihrer über 24jährigen Arbeit eine bemerkenswerte Statistik vorweisen, die nach Bundesstaaten aufgeschlüsselt 1.683 rail-trails mit einer Gesamtlänge von 31.980 km (reiner Bahntrassen-Anteil; Stand: September 2010) ausweist.

Nach diesem Vorbild soll an dieser Stelle auf der Grundlage des Verzeichnisses europäischer Bahntrassenwege (vgl. Tabelle in der Europaübersicht) der Versuch einer Abschätzung unternommen werden. Hier sind 1.233 bestehende Bahntrassenwege in 19 europäischen Staaten erfasst (Stand: Januar 2011). Wegelängen und Ausbaustandard variieren enorm, die Bandbreite reicht von kurzen innerörtlichen Strecken auf alten Industrieanschlussgleisen über einfach befestigte Rad-, Wander- und Wirtschaftswege bis zur 85 km langen Feinasphaltpiste durch endlose Wälder. Die Länge der erfassten Wege summiert sich auf rund 14.000 km, wobei Anzahl und Länge in den kommenden Jahren aufgrund von Ausbaumaßnahmen und Neuentdeckungen weiter nach oben zu korrigieren sein werden, da noch nicht alle Länder systematisch bearbeitet wurden. Die Streckenlängen wurden analog zur RTC-Statistik - soweit ausreichende Daten zur Verfügung standen - auf die Bahntrassenabschnitte bezogen. Grenzüberschreitende Wege wurden dem Land mit dem größeren Anteil zugeschlagen. Die aktuelle tatsächliche Gesamtlänge dürfte sich auf über 15.000 km belaufen.

Obwohl diese Zahlen beachtlich sind und selbst viele derjenigen überraschen dürften, die sich intensiv mit dem Radwegebau und der Radverkehrsförderung auseinandersetzen, wird doch nur ein verhältnismäßig geringer Teil stillgelegter Bahnstrecken zu Rad- und Wanderwegen umgestaltet. Auch hier muss auf Schätzungen zurückgegriffen werden: Der Prozentsatz dürfte typischerweise zwischen 10 und 25 % bezogen auf die Länge des stillgelegten Bahnnetzes anzusiedeln sein mit Abweichungen nach unten (Schweiz: unter 10 %) und oben (Luxemburg: über 40 %). Viele der früh aufgegebenen Trassen wurden nach dem Abbau der Schienen der Natur überlassen, bis zur Unkenntlichkeit untergepflügt, überbaut oder von Straßen überlagert. Andere aus dem regulären Bahnbetrieb entlassene Strecken dienen als Draisinenstrecken (in Deutschland rund 350 km, wobei viele dieser Strecken formal weiter dem Bahnbetrieb gewidmet bleiben) oder werden als Museumsbahnen genutzt; in einigen Fällen gibt es Mischformen.

Bahntrassenwege als integrale Bestandteile nationaler Radroutensysteme

In vielen Ländern wurden flächendeckende Radwegenetze entwickelt oder befinden sich im Aufbau. Diese gliedern sich meist in ein nationales Grundnetz, das um regionale und lokale Routen ergänzt wird. Das übergreifende Radnetz Eurovelo oder die Programme REVER NWMA und REVER MED (REseau Vert EuRopéen = Europäisches Netz Grüner Wege) bauen auf diesen nationalen Wegen auf und stellen sie in einen europäischen Kontext.

Viele, insbesondere die mit einem hohen Standard ausgebauten Bahntrassenwege sind als Teil der nationalen und regionalen Radnetze beschildert. Obwohl andererseits der Anteil der Bahntrassenwege-Kilometer bezogen auf die Gesamt-Radwegelänge eher gering ist, darf man ihre Bedeutung im Gesamtsystem der Radverkehrsnetze nicht unterschätzen. Bahntrassenwege haben einen hohen Wiedererkennungs- und Identifikationswert, der als zentrales Element vieler Ausbauprogramme mit eigenen Gestaltungsmerkmalen, markanten Brückenkonstruktionen oder moderner Kunst am Radweg herausgearbeitet wird. Als ein besonderes Angebot waren neu entstehende Wege besonders in Regionen mit einem geringen Anteil der zurückgelegten Radfahrten im Verkehrsmix wiederholt ein Auslöser dafür, dass sich mehr Menschen fürs Radfahren im Allgemeinen und das Radwandern im Speziellen begeistern.

Ein wesentlicher Qualitätsaspekt ist die möglichst durchgängige und barrierefreie Befahrbarkeit der Strecken. Dem kommt entgegen, dass der Bau von Bahntrassenwegen in jüngerer Zeit verstärkt aus der Überlegung heraus geleitet wird, die kompletten Trassenbänder langfristig als Verkehrswege oder für Versorgungsleitungen zu sichern. Dies stellt eine Trendumkehr gegenüber der früher üblichen Zerstückelung und Bebauung von Filetstücken dar.

Zu den faszinierendsten Entwicklungen gehört die vermehrt zu beobachtende Verknüpfung zunächst isolierter Bahntrassenwege zu raumgreifenden Netzstrukturen. Ein bekannter gewordenes Beispiel sind die railway cycle paths im County Durham (Großbritannien), wo die mit dem Wegfall der Stahlproduktion überflüssig gewordenen Gütertrassen sehr früh systematisch einem neuen Verwendungszweck zugeführt wurden. Andere Wegesysteme zählen dagegen noch zu den Geheimtipps, wie Nord- und Mittel-Jütland (Dänemark), oder werden erst in den nächsten Jahren komplettiert, wie das Vennbahn-System im Dreiländereck Belgien / Deutschland / Luxemburg oder die Panorama-Radwege im südlichen Nordrhein-Westfalen (Deutschland).

Eisenbahnrelikte

Bereits die Linienführung alter Bahnstrecken ist so charakteristisch, dass sich ein ganz typisches Fahrgefühl einstellt, wenn man mit dem Rad auf einer solchen Trasse unterwegs ist. In den Mittelgebirgen und Gebirgsregionen waren für den Eisenbahnbau umfangreiche Erdbewegungen erforderlich. Durch Dämme und Einschnitte wurden die Steigungen bei maximal 3-4 % gehalten: ideale Voraussetzungen für Radwege, die auch von relativ untrainierten Radlern gut zu bewältigen sind. Häufig fährt man auf Passagen, die über dem umgebenden Niveau liegen und so schöne Ausblicke ins Umland bieten. Viele der Strecken sind außerdem kreuzungsfrei, da Straßen durch Brücken über oder unter der Bahn hindurchgeführt wurden. Wie die Bahngebäude haben die Brücken oft ein regionaltypisches Aussehen, besondere Konstruktionsmerkmale oder sind bestimmten Zeitepochen zuzuordnen. Ein Radausflug kann so zu einer Fahrt in die Vergangenheit werden, die die Eisenbahngeschichte im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar macht und die enge Verknüpfung von Eisenbahn und Industriekultur aufzeigt: In der unmittelbaren Nähe vieler Bahntrassenwege befinden sich Eisenbahn- und Industriemuseen, die fundierte Einblicke in die regionale Technikgeschichte geben.

Ein besonderes Erlebnis sind die zahlreichen, meist beleuchteten Tunnel, die in die Radwege einbezogen wurden. Über 380 gibt es in Europa, mit der größten Dichte in Spanien: Fast zwei Drittel sind hier zu finden. Der zurzeit längste befindet sind im Burgund (Frankreich) auf der Voie Verte von Chalon-sur-Saône nach Charnay-les-Mâcon in der Nähe von Cluny und hat eine Länge von 1,6 km (1).

Akteure und Finanzierung

Am Bau von Bahntrassenwegen können landespezifisch recht unterschiedliche Behörden und Organisationen beteiligt sein und auch bei der Finanzierung gibt es verschiedene Herangehensweisen. Neben den mit dem Straßenbau befassten Behörden auf kommunaler und regionaler Ebene sind oft verschiedene ministerielle Ressorts involviert. Begleitet werden die Projekte zum Ausbau der nationalen Radwegenetze und in mehreren Ländern speziell auch zum Ausbau von Bahntrassenwegen durch Organisationen, die sich die Förderung Grüner Wege zum Ziel gesetzt haben. Als Dachorganisation auf europäischer Ebene fungiert die European Greenways Organisation, die ihrerseits koordinierende Aufgaben im Bereich der übergreifenden Netze (REVER) wahrnimmt, wobei die Zusammenarbeit unterschiedliche Tiefen erreicht hat: Der deutsche Sprachraum scheint bei dem speziellen Thema der Bahntrassenwege in der europäischen Wahrnehmung etwas unterrepräsentiert. Zur Finanzierung steht mit einigen landesspezifischen Spezialitäten die gesamte Bandbreite an Mitteln für Straßen- und Städtebau zur Verfügung. Bei grenzüberschreitenden Projekten kann ergänzend auf EU-Mittel des INTERREG-Programms zurückgegriffen werden, bei anderen ist je nach Zielsetzung eine Kofinanzierung durch EU-Fonds wie EFRE, FEDER u. a. möglich.

Und nicht zuletzt ist es oft ein bemerkenswertes bürgerschaftliches Engagement, das den Bau von Bahntrassenwegen anstößt oder sogar zur Umsetzung führt. Um nur zwei prägnante Beispiele herauszugreifen: In Großbritannien wird der Two Tunnels Shared Path bei Bath maßgeblich von der Two Tunnels Campain Group forciert und in Deutschland geht der Ausbau der Wuppertaler Nordbahntrasse auf die Initiative der Wuppertalbewegung e. V. zurück. Diese hat ausgehend von zwölf Gründungsmitgliedern inzwischen rund 2.000 Unterstützer. Durch ihre Arbeit konnten u. a. die für das Projekt erforderlichen städtischen Eigenanteile (rund 3,3 Mio. Euro) als Spenden eingeworben werden.

"Bauanleitungen" für Bahntrassenwege

Angesichts der großen Zahl bereits erfolgreich umgesetzter Projekte zur Umwandlung ehemaliger Eisenbahnstrecken in Rad- und Wanderwege kann bei neuen Vorhaben auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgegriffen werden. Für nahezu alle anzutreffenden Fragestellungen wurden zweckmäßige Lösungsansätze entwickelt und als Sammlungen von Best-Practice-Beispielen dokumentiert. Durch die immer wiederkehrenden typischen Anforderungen im Zusammenhang mit Zugangspunkten, ehemals niveaugleichen Bahnübergängen, Tunneln und Brücken oder der Wegweisung und der Schaffung einer touristischen Grundausstattung kann die Planung neuer Bahntrassenwege somit nach dem Baukastenprinzip angegangen werden.

  • Sustrans (Großbritannien): Making ways for the Bicycle
  • ADFC NRW und BahnflächenEntwicklungsGesellschaft NRW (Deutschland): Empfehlungen zur Planung und zum Ausbau von Alleenradwegen
  • Rails-to-Trails Conservancy (USA): Trail-Building Toolbox

Regionalwirtschaftliche Wertschöpfung und andere Effekte

Dass der Bau von Bahntrassenwegen nicht ohne Wirkung bleibt, kann man schon rein subjektiv erahnen, wenn in einer Region, in der Fahrräder zu den exotischen Fortbewegungsmitteln gehörten, nach einer Eröffnung plötzlich Einheimische mit neuen Rädern unterwegs sind und die ersten Radtouristen gesichtet werden.

In zahlreichen Studien wird versucht, dies zu quantifizieren und durch Modelle auf geplante Vorhaben zu projizieren. Eine der jüngeren wurde 2007 vom Europäischen Tourismus Institut ETI der Universität Trier zum Thema "Regionalwirtschaftliche Effekte des Radtourismus in Rheinland-Pfalz" vorgelegt. Darin wurden vier touristische Radwege untersucht, darunter der rund 50 km lange Bahntrassenweg Maare-Mosel-Radweg. Anhand der Zählung und Befragung von Besuchern kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Kosten für Bau und Unterhalt von Radwegen innerhalb weniger Jahre über die wirtschaftlichen Effekte wieder in die Region zurückfließen können.

Auch die ökologischen Effekte und Auswirkungen auf das Aufkommen im motorisierten Verkehr können mit Zahlen veranschaulicht werden: Das National Cycle Network in Großbritannien wurde 2008 zu 386 Millionen Fahrten genutzt, von denen 96 Millionen Pendlerfahrten waren. Dadurch konnten 84 Millionen Autofahrten und 250 Millionen Pfund an Gesundheitskosten eingespart werden (2).

Bahntrassenwege in den einzelnen Ländern

Großbritannien
Der Aufbau des nationalen Radroutennetzes in Großbritannien geht auf die 1977 in Bath gegründete Organisation Sustrans ("sustainable transport" - nachhaltiger Verkehr) zurück. Im ersten großen Projekt wurde von 1979 bis 1986 der inzwischen legendäre Bristol&Bath Railway Path geschaffen, ein 17 Meilen langer asphaltierter Radweg auf einer stillgelegten Bahnstrecke zwischen diesen beiden Städten. Das einheitlich beschilderte National Cycle Network NCN ist bis Ende 2010 auf über 12.600 Meilen (über 20.000 km) angewachsen und für die Hälfte der Bevölkerung innerhalb einer Meile zu erreichen. In das Netz, das seit 1995 wesentlich durch die Ausschüttung von Lotterieerlösen finanziert wird, konnten über 1.000 km an Bahntrassenwegen eingearbeitet werden. Der Ausbau weiterer Strecken ist in bewährter Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden geplant. Eine ganze Reihe dieser Bahntrassenwege wird mit Eigennamen als besonders hochwertig herausgestellt und der Öffentlichkeit mit vorbildlichen Faltblättern und als Teil eines interaktiven Kartenwerks näher gebracht. In der Gesamtsicht tritt der Aspekt der Eisenbahnvergangenheit aber oft zurück und wird z. B. durch die Arbeit des Vereins Railway Ramblers systematisch aufgearbeitet.
Bereits in den 1920er und 1930er Jahren wurden rund 2.000 km aufgrund der beginnenden Konkurrenz mit anderen Verkehrsträgern und als Folge des Zusammenschlusses von zuvor im gegenseitigen Wettbewerb stehenden Eisenbahngesellschaften stillgelegt. Die maximale Ausdehnung erreichte das Bahnnetz in Großbritannien 1950 mit rund 34.000 km Länge. Bis 1975 wurden über 11.000 km außer Betrieb gesetzt, von denen später nur ein kleiner Teil für den regulären Bahnverkehr reaktiviert wurde oder in heritage railways aufging.
Zahlreiche der früheren Bahnstrecken stehen heute im Eigentum von Railway Paths Limited, darunter 700 Brücken, Viadukte und Tunnel im gesamten Vereinigten Königreich.

Dänemark
Mit 12.000 km an beschilderten Radrouten kann Dänemark mit einem engmaschigen und sorgfältig strukturierten Wegenetz aufwarten, das in 11 nationale Routen mit den Nummern 1-10 (3.500 km, Nummer 10 ist doppelt vergeben), regionale Routen (16-99) und lokale Wege (100-999) gegliedert ist. Ein Großteil der rund 650 km Bahntrassenwege konzentriert sich auf Nord- und Mittel-Jütland: Hier ist eine beachtliche Anzahl längerer Wege (20-70 km) zu finden, die in wesentlichen Teilen auch durch das beschilderte Netz abgedeckt werden.

Schweden
Die rund 7000 km stillgelegten schwedischen Bahnstrecken sind in der Südhälfte des Landes angesiedelt. Der Plan för svenska cykelrekreationsvägar aus dem Jahre 2001 erwähnt bereits 59 Bahntrassenwege (823 km) und analysiert die Eignung weiterer Strecken für den Radwegebau. In der deutlich höheren Anzahl aus Tabelle 1 (105 Wege, 1.700 km) ist eine Reihe von kurzen oder unterbrochenen Bahntrassenabschnitten enthalten, denen die Einbindung in die Radinfrastruktur noch fehlt. Seit Veröffentlichung der Studie konnten zudem qualitativ hochwertige Langstreckenprojekte wie die Klarälvsbanan vollendet werden.

Niederlande
Im 4.500 km langen, gut ausgebauten System der Landelijke Fietsroutes (Radfernwege, kurz: LF), das durch regionale Knotenpunktsysteme ergänzt wird, finden sich immer wieder meist kurze Bahntrassenwege, die nur selten Längen über 5 km erreichen. Eine eigenständige Betrachtung von Trassenwegen findet daher nur im Rahmen privater Projekte statt, die sich auf die Suche von Spuren verschwundener Eisenbahnen begeben.

Belgien
Durch die seit dem Ende der 1940er Jahre auch in Belgien in großem Umfang zu beobachtenden Streckenstilllegungen ist das rund 5.000 km lange ehemalige Schmalspurnetz (SNCV) fast vollständig verschwunden. Aber auch vielen normalspurigen Strecken blieb das Schicksal des Abbaus nicht erspart. So bildet das in den 1940er Jahren zu den dichtesten Bahnnetzen Europas gehörende Streckennetz Belgiens heute die Grundlage für zahlreiche Bahntrassenwege. Als Bezeichnung der einzelnen Wege wird die frühere Streckennummer weiterverwendet, was in dieser Konsequenz einmalig in Europa ist.
Ein erster Abschnitt eines längeren Bahntrassenwegs wurde 1985 mit dem ersten Stück der Linie 142 von Hoegaarden nach Eghezée eröffnet. In den Folgejahren entstanden bereits unter touristischen Gesichtspunkten mehrere isolierte Wege. Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre wurden dann im wallonischen Teil Belgiens die Grundlagen für eine großräumigere Betrachtung gelegt, die 1995 im Programm RAVeL ("Réseau Autonome de Voies Lentes" - Autonomes Netz für langsam fließenden Verkehr) mündeten. Die erste RAVeL-Strecke wurde 1997 zwischen Rochefort und Villers-sur-Lesse eröffnet. Das Netz mit fünf Haupt- und zahlreichen Nebenstrecken ist bis Ende 2009 auf rund 1.000 km angewachsen, besteht aber natürlich nicht ausschließlich aus Bahntrassenwegen. In der flämischen Region wird der Ausbau ehemaliger Bahnstrecken durch die Provinzen vorangetrieben und hat auch hier eine nennenswerte Anzahl exzellenter Radwege hervorgebracht.

Deutschland
Die ersten Wege mit einem ausgewiesenen Erholungscharakter sind in Deutschland in den 1970er Jahren entstanden, eine Nutzung als hochwertige Radwanderwege findet in einem größeren Umfang seit Anfang der 1990er Jahre statt. Seitdem erfolgt in einigen Bundesländern ein systematischer Ausbau: In Rheinland-Pfalz sind viele der Strecken in das Großräumige Radwegenetz integriert und ergänzen das Grundgerüst aus sieben Flussradwegen. Gleiches gilt für Hessen, wo Bahntrassenwege Teil oder Ergänzung des Fernwegenetzes ("R-Wege" und benannte Flussradwege) sind. Auch in Bayern sind die meisten längeren Radwanderwege auf alten Bahntrassen Teil des "Bayernnetzes für Radler", ohne dass eine zentrale Koordinierung erkennbar wäre.
Nordrhein-Westfalen wird flächendeckend durch das Radverkehrsnetz erschlossen, das verglichen mit den Radroutennetzen der meisten anderen Bundesländern eine stärkere Ausrichtung auf den Alltagsverkehr hat und durch zusätzliche touristische Wege überlagert und erweitert wird. Ein erster Schwerpunkt in Bezug auf Bahntrassenwege wurde im Ruhrgebiet gesetzt, wo der Regionalverband Ruhr zahlreiche Strecken für die Freizeitnutzung umgestaltet, die infolge des Strukturwandels nicht mehr für den Eisenbahnverkehr der Kohle- und Stahlproduktion benötigt werden. 2008 wurde ein spezielles Landesprogramm "Alleenradwege auf stillgelegten Bahnstrecken" gestartet. In der zugrundeliegenden Studie wurden 42 Strecken mit einer Gesamtlänge von 560 km untersucht, von denen rund 350 km realisiert werden sollen. Dies wird durch die BahnflächenEntwicklungsGesellschaft NRW (BEG) betreut, die gemeinsam von Land und Deutscher Bahn getragen wird und die für die vorbereitenden Arbeiten einen Kalkulator zur Ermittlung der für den Ausbau der einzelnen Wege zu erwartenden Kosten entwickelt hat. Durch diese neuen Strecken wird das Radverkehrsnetz weiter ergänzt und optimiert. Ein Katalog einheitlicher Gestaltungsmerkmale gewährleistet einen hohen Qualitätsstandard und rückt gleichzeitig durch die Einbeziehung von Eisenbahn-Erinnerungsstücken wie Kilometersteinen oder Signalen die Herkunft der Strecken ins Bewusstsein.
In den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen befinden sich die Radnetze zu großen Teilen noch im Aufbau. Im Rahmen der Radverkehrskonzepte wurden im Vorfeld die in Frage kommenden stillgelegten Bahnstrecken identifiziert. Sie werden jetzt in einem auf mehrere Jahre angelegten Zeitraum als Radwege ausgebaut.

Österreich und Schweiz
Im "Veloland Schweiz" mit einem nationalen Radwegenetz von über 3.300 km (Velorouten 1-9) und 55 regionalen Routen spielen Bahntrassenwege nur eine sehr untergeordnete Rolle, da die Strecken zu kurz sind, um als eigenständige Einheiten wahrgenommen zu werden.
In Österreich fallen Planung und Vermarktung von Radwegen in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Der Bestand an Bahntrassenwegen ist größer als im Nachbarland und beinhaltet auch touristisch relevante Strecken. Eine Erwähnung verdient der Hintergebirgsradweg auf der Trasse der ehemaligen Waldbahn Reichraming mit 12 Tunneln. Eine Besonderheit im gesamten Alpenraum sind Streckenabschnitte in Tallagen, die durch längere Tunnelneubauten frei wurden. So können jetzt in einem beengten, vom Zusammentreffen mehrerer Verkehrssysteme geprägten Umfeld Nischen für den Radverkehr geschaffen werden.

Frankreich
Eine wichtige Rolle bei Entwurf und Umsetzung des Schéma national des véloroutes et voies vertes (SN3V), das um ein umfangreiches Netz regionaler Routen verdichtet wird, spielt die Association Française de développement des Véloroutes et Voies Vertes (AF3V). Auf ihrer Internetpräsenz findet sich eine detaillierte Dokumentation der fertig gestellten Grünen Wege Frankreichs unter der besonderen Berücksichtigung von Bahntrassenwegen.
Schwerpunkte, an denen Radwege auf ehemaligen Bahnstrecken gehäuft auftreten und bei denen es zur Bildung erster Netzstrukturen gekommen ist, gibt es z. B. in der Bretagne, Normandie und im Departement Gironde. Einzelne Wege haben wie die Voie verte bei Cluny eine überregionale Bekanntheit erreicht. In welchem Ausmaß die Entwicklung allerdings im europaweiten Vergleich fortgeschritten ist, gehört zu den überraschenden Erkenntnissen dieser Bestandsaufnahme.

Spanien
In Spanien gibt es über 7.600 km an aufgegebenen Bahnstrecken und in einem größeren Umfang auch Strecken eines ehrgeizigen Ausbauplans aus den 1920er Jahren, die nie in Betrieb gegangen sind. Seit 1993 werden sie zu multifunktionalen Freizeitwegen umgestaltet: den Vías verdes, die zum Teil auch als Caminos naturales bezeichnet werden. Akteure sind u. a. das spanische Umweltministerium und die Eisenbahn-Infrastrukturgesellschaft RENFE. Das Programm wird von der Fundación de los Ferrocarriles Españoles koordiniert, wodurch diese Wege landesweit einheitliche Gestaltungsmerkmale mit einem hohen Wiedererkennungswert erhalten. Die Eisenbahnvergangenheit der Vías verdes wird dabei in der vorbildlichen Öffentlichkeitsarbeit sehr akzentuiert thematisiert. Aktuell konnten bereits rund 1.900 km spanischer Bahntrassenwege eröffnet werden - Fortsetzung folgt.

Portugal
Unter Federführung der Eisenbahn-Infrastrukturgesellschaft REFER wurden in einer landesweiten Bestandsaufnahme 14 Strecken mit einer Länge von insgesamt 700 km identifiziert, die sich zur Anlage hochwertiger Freizeitwege eignen. Das sind etwa 20 % aller Eisenbahnkilometer bezogen auf die größte Ausdehnung des Netzes Ende der 1940er Jahre. Das Ecopista-Konzept wurde im November 2004 auf einer international besetzten Konferenz vorgestellt, um die Kommunen und andere Partner für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Durch diesen konzertierten Ansatz konnten in den vergangenen fünf Jahren die ersten Wege der Öffentlichkeit übergeben werden, sodass zurzeit rund 70 km an Bahntrassenwegen verfügbar sind. Die Strecken verbleiben dabei im Eigentum von REFER und werden zur Nutzung als Radwege an die Kommunen verpachtet.


Weiterführende Informationen

www.aevv-egwa.org - European Greenways Association
www.af3v.org – Association Française de développement des Véloroutes et Voies Vertes
www.bahntrassenradeln.de – Dokumentation europäischer Bahntrassenwege
www.flaechenentwicklung.de – BahnflächenEntwicklungsGesellschaft (BEG) NRW
http://ravel.wallonie.be – Belgien
www.railstotrails.org – Rails-to-Trails Conservancy, USA
www.sustrans.org.uk – Großbritannien
www.viasverdes.com – Vías verdes in Spanien


1 – Inzwischen wurde in Spanien der 2,6 km lange Tunnel bei Uitzi für den Radverkehr geöffnet.
2 – Sustrans: The National Cycle Network, Route User Monitoring Report To end of 2008



Die Tourenbeschreibungen und begleitenden Angaben wurden mit größtmöglicher Sorgfalt zusammengestellt. Für ihre Richtigkeit kann jedoch keine Gewähr übernommen werden. Das Nachradeln dieser Tour geschieht auf eigene Gefahr. Die Mitteilung der Wegeführungen erfolgt mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass Sie beim Nachradeln der Tour für die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung und anderer relevanter Bestimmungen selbst verantwortlich sind und insbesondere im Einzelfall vor Ort abklären müssen, ob ein bestimmter Weg von Radfahrern benutzt werden darf (Fußgängerzonen, Einbahnstraßen usw.).

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